Die St. Agathen Kirche
Die bereits 1229 durch den Sacerdos de Leueste - dem Priester in Leveste - bezeugte St. Agathen-Kirche ist das älteste Bauwerk Levestes.
Schutzpatronin der Kirche ist die heilige Agathe, die 251 als Märtyrerin auf Sizilien starb. Sie wird verehrt als Patronin der Keuschheit, als Feuerheilige und als Schutzpatronin der Hirten und Sennerinnen.
Die romanische Gliederung der einschiffigen Kirche blieb unverändert. Die im vergangenen Jahr erneut restaurierten Fresken entstanden im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts und in der Spätgotik, Anfang des 16. Jahrhunderts.
Wie in vielen Kirchen wurden auch in Leveste die Fresken in den darauf folgenden Jahrhunderten überstrichen. Glücklicherweise wurden dabei keine schädlichen Anstriche verwendet. Als anläßlich einer Kirchenvisitation in den Zwanziger Jahren die Kirche neu geweißelt werden sollte, lösten sich Teile des vielschichtigen Kalkanstriches und gaben die Fresken frei. Alsbald wurde eine erste Restaurierung vorgenommen und in den Jahren 1961/62 erfolgte die endgültige Wiederherstellung. Eine Auffrischung erfolgte im vergangenen Jahr und wurde im Video festgehalten.
Die Kanzel stand ursprünglich an der Südseite und wurde Ende des 18. Jahrhunderts versetzt. Der Orgelprospekt ist ein Geschenk des Freiherrn W. Knigge und steht unter Denkmalschutz.
Während des 2. Weltkrieges wurden auch die Glocken der Levester Kirchengemeinde zum Einschmelzen eingezogen.
Durch eine glückliche Fügung überstand die zu Beginn des 16. Jahrhunderts von J. Schrader gegossene und mit einem Durchmesser von 106 Zentimetern größte Glocke den Krieg unbeschadet auf einem Lagerplatz im Hamburger Hafen und konnte 1947 ihren Platz im Turm wieder einnehmen.
Außerhalb der Kirchhofmauer neben dem Pfarrhaus ist die Luthereiche (Naturdenkmal) und das Lutherdenkmal zu finden. Die Pflanzung der Eiche und die Aufstellung des Denkmals erfolgten am 10. November 1883 zur Erinnerung an den 400. Geburtstag Martin Luthers.
Hinweis: Die Kirche ist außerhalb der Gottesdienstzeiten verschlossen.
Besichtigungen sprechen Sie bitte mit der Küsterin, Frau Petra Bürger, Tel. 927069, vorher ab.
St. Agatha-ein kunsthistorisches Juwel
von Rainer Gerd Fenner
Mitten im Dorf Leveste erhebt sich ein spitzer, schiefergedeckter Turm, immer noch höher als alle Gebäude und Bäume des Dorfes. Dieser Turm ist der Glockenturm der St. Agatha-Kirche, deren 750jähriges Jubiläum die Ev.-luth. Kirchengemeinde Leveste vor 22 Jahren feiern konnte. Äußerlich ein recht schmuckloser Bau, verbirgt sein Inneres eine bedeutende und unerwartete Kostbarkeit. Wer die Kirche das erste Mal durch das gotische Portal auf deren Nordseite betritt, wird einen Augenblick überrascht inne halten, wenn er den Blick nach links wandern lässt. Tritt der Besucher dann unter der Orgelprieche hervor, die den Eingangsbereich überdeckt, steht er unter einem vollständig mit Fresken ausgeschmückten Gewölbe, das die drei Joche des Kirchenraumes überspannt.
Als Fresken bezeichnet man eine Maltechnik, bei der in Wasser angeriebene kalkbeständige Farben auf frischem (ital.: fresco), also kurz vorher aufgetragenem Kalkputz aufgemalt werden. Die Farben dringen in die noch nasse Putzschicht ein und bleiben nach dem Trocknen unlöslich mit ihr verbunden. Da bei dieser Technik das einmal Begonnene noch am selben Tag vollendet sein muss, werden große Fresken abschnittsweise ausgeführt, was eine genaue Vorplanung des Ganzen erfordert.
Als Hilfsmittel dienen hierzu Kartons mit Vorzeichnungen in der Größe des Originals, deren Umrisse auf die zu bemalende Wand übertragen werden. Fresken kannten bereits die Ägypter und Babylonier vor mehr als 3000 Jahren. Im Mittelalter wurden viele Kirchen mit Fresken ausgemalt.
Wenn wir nun erfahren, dass die Fresken der St. Agatha-Kirche rund 600 Jahre alt (!) und bis auf ganz wenige Ergänzungen vollständig im Original erhalten geblieben sind, können wir ermessen, welches Juwel wir hier vor uns haben.
Diesen sehr guten Erhaltungszustand dieser Malereien haben wir dem Umstand zu verdanken, dass einige unserer Vorfahren derartige Bildwerke in Kirchen ablehnten.
In der frühchristlichen Kirche war zunächst ein förmlicher Kunsthass entstanden. Die altklassischen künstlerischen Bestrebungen waren so sehr von heidnischen Tendenzen durchdrungen, dass man alles sinnlich Schöne aus dem Bereich der Religion zu verbannen suchte. So wurden in dieser Zeit nur die altbekannten christlichen Symbole wie Kreuz, Fisch, Lamm, Taube bildlich dargestellt. Erst im 2. und 3. Jahrhundert treffen wir neben diesen Symbolen auch Bildnisse Christi in den Kirchen an. Allmählich fanden auch andere bildliche Darstellungen Eingang in die Kirchen, nicht ohne entschiedenen Widerstand mancher Kirchenlehrer. Die Verehrung der Märtyrer und Heiligen bewirkte aber schließlich, dass es üblich wurde, Kirchen mit den Bildnissen bestimmter Heiliger zu schmücken, die zu diesem Gotteshaus in besonderer Beziehung standen. Dazu gehörten auch Darstellungen aus ihrem Leben aber auch die von christlicher Heilsgeschichte. Der große Kirchenlehrer Papst Gregor I. (540 - 604) verteidigte in seinem Brief an Serenus von Marseille diese Handhabung, denn "dass solche Bilder die Bücher der Armen seien, aus welchen sie, die nicht lesen könnten, die Kenntnis der heiligen Geschichte schöpften und so zur Frömmigkeit und Nacheiferung angetrieben würden." Auch im Mittelalter gab es nur wenige Christen, die lesen konnten. So war dieses Bilderbuch christlicher Heilsgeschichte und Erfahrungen auf den Wänden und Gewölben der Kirchen ein wichtiger Botschafter des Evangeliums.
In der Reformation war es zunächst allgemein üblich, die Bilderverehrung in den evangelisch gewordenen Kirchen abzulehnen. Bei der bildlichen Darstellung gab es jedoch unterschiedliche Auffassungen. Selbst Luther gestattete schließlich die Beibehaltung der Bilder in den Kirchen, nachdem er anfangs für deren Entfernung eingetreten war. Anlass war wohl das gewaltsame Auftreten des fanatischen Reformators Karlstadt als Bilderstürmer in Wittenberg 1522. Es gab aber immer wieder in der Kirche Kräfte, vor allem in der Reformierten Kirche, die durch strenges Festhalten am Buchstaben der Bibel jede bildliche Darstellung Gottes und seiner Heilsgeschichte verhindern wollten. Heute würde man sie als Fundamentalisten bezeichnen.
So ist es zu erklären, dass vermutlich auch im 16. Jahrhundert die bis dahin reiche Ausmalung unserer St. Agathenkirche unter einer dicken Kalktünche verschwand.
Damit blieben unsere Fresken einige Jahrhunderte bis zum Sommer 1924 nicht nur dem Gottesdienstbesucher verborgen sondern durch diesen überdeckenden Kalkanstrich auch vor äußeren Einflüssen - wie Ofenruß - geschützt und haben diese lange Zeit deshalb in erstaunlicher Frische überdauert. Viele andere Kirchen, wie die Margarethenkirche in Gehrden, hatten nicht dieses bewahrende Glück. Ihre Ausmalungen gingen leider verloren. Umso bedeutender war die Überraschung, eine echte Sensation, als bei Sanierungsarbeiten im August 1924 aus Anlass einer Kirchenvisitation die ersten Teile der farbigen Ausmalung unter der Kalktünche sichtbar wurden.
Das war tatsächlich eine Sensation, die Aufdeckung der Jahrhunderte alten Malereien im Jahr 1924!
Man wusste zwar bereits seit den 80iger Jahren des 19. Jahrhunderts - wie der damalige Levester Pastor Pückel (1879-1891) feststellte -, dass unter der weißen Kalktünche des Gewölbes Malereien verborgen wären. Am Tage seiner Amtseinführung erfuhr Pastor Grahle (1904-1926) davon und wollte gleich handeln. Dazu motivierte ihn auch Freiherr Knigge, dem dieser verborgene Schatz ebenfalls schon bekannt war.
Doch der Kirchenvorstand blockte bei seiner ersten Sitzung dieses Ansinnen ihres neuen Pastors vehement ab. Die Gemeinde sei dagegen, es würde zu teuer. Mit dieser Begründung habe sie bereits in den 80iger Jahren ein gleiches orhaben von Pastor Pückel verhindert. Jetzt würde es sicher noch teurer, und man wisse ja auch gar nicht, was alles unter der Tünche verborgen sei. Jedenfalls wäre die Gemeinde jetzt mit ihrer Kirche zufrieden. Punktum!
So blieb schließlich alles beim Alten bis zur Kirchenvisitation im August 1924. 20 Jahre waren ungenutzt vergangen!
Der Superintendent hatte nämlich diese verborgenen Malereien in seinem Visitationsbericht an das Landeskirchenamt erwähnt. Der Provinzial-Konservator (Denkmalpfleger des Landes) Prof. Siebern erhielt ebenfalls Kenntnis und sah es als seine Pflicht, dieser Sache auf den Grund zu gehen.
Wie Pastor Grahle berichtete, erschien Prof. Siebern eines Tages im Levester Pfarrhaus, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Pastor Grahle war gar nicht begeistert, befürchtete er doch, dass hohe Kosten auf die Gemeinde zukommen würden, wenn eine Freilegung beschlossen werden sollte.
Er meinte, die Gemeinde würde sich in einem Gotteshaus nicht mehr wohlfühlen, wo die sicher beschädigten Malereien nach der Freilegung ihre Andacht störe. Sie würde davon ausgehen, dass die Malereien durch die Übertünchung fraglos gelitten hätten.
Prof. Siebern hielt dagegen, die Andacht solle durch die alten Malereien nicht gestört sondern eher gefördert werden. Es wäre nicht seine Absicht, nur das Alte freizulegen, sondern beschädigte Teile würden ausgebessert und Fehlendes ergänzt.
Nicht alles würde nachgemalt, sondern die Malereien, die man auffinden würde, sollten wie ein Teppich wirken. Und gerade das wäre für die Andacht wohltuend.
So versuchte er den Pastor zu beruhigen und ging mit ihm nun zur St. Agathenkirche hinüber. Als beide die Kirche betraten, war Prof. Siebern doch sehr betroffen über deren Zustand. Zwar war alles sehr sauber, die weiß lackierten Bänke und Priechen und das frisch weiß getünchte Deckengewölbe. Aber der ganze Raum in seiner grell-weißen Farbe wirkte sehr kalt und nüchtern. Die Wände und die Gewölbe waren damals noch von vier Priechen halb verdeckt. Eine auf der Südseite und zwei auf der Nordseite, dazu noch die Prieche vor der Orgel.
Prof. Siebern stieg nun an der südlichen Prieche empor, da er in den Gewölbezwickeln Malereien vermutete. So schabte er dort mit einem Federmesser die Kalktünche vorsichtig weg und es kamen sofort Farben zum Vorschein. Schnell stellte er fest, dass sich hier offenbar zwei Freskenschichten übereinander befanden. Später erkannte man, dass die obere Schicht aus der Barockzeit stammte, darunter aber die heute noch vorhandene gotische Ausmalung aus der Zeit um 1400.
Voller Begeisterung über seine Entdeckung legte Siebern nun nach und nach unter größter Vorsicht den blondgelockten Kopf einer Frau frei.
Es war der Kopf der Märtyrerin St. Juliana, die wir heute im südwestlichen Gewölbezwickel bewundern können. Den Teufel, den sie mit dem Zeichen des siegreichen Kreuzes in ihrer Rechten überwunden hatte, hält sie an einer Kette fest.
Jetzt war natürlich zu vermuten, dass unter der Kalktünche noch mehr von der gotischen Ausmalung verborgen sein müsste.
Nun ging alles sehr schnell. Prof. Siebern veranlasste, dass der stellungslose Kirchenmaler Martin Gotta mit weiteren Nachforschungen und schließlich mit der Wiederaufdeckung und Restaurierung der gesamten Freskenmalerei beauftragt wurde. Er arbeitete den ganzen Winter 1924/25 intensiv an dieser gewaltigen Aufgabe und hatte sie am 26. Mai 1925 zur Trauung der Annina Freiin Knigge mit Burghard von Gadenstedt weitgehend beendet. Dabei wurden die Priechen auf Nord- und Südseite des mittleren Joches beseitigt, denn sie hätten sonst große Teile des freigelegten Gewölbefreskos verdeckt.
Fast unvorstellbar, wie im Laufe eines halben Jahres aus einem tristen Kirchenraum ein Kirchenschiff wurde, dessen weitestgehend noch im Original vorhandene Fresken hieraus einen Festsaal machten, der noch heute viele Kirchenbesucher zu begeistern vermag.
Eine Ironie der Geschichte: Die Kalktünche, mit der man seinerzeit die unwillkommenen bildlichen Darstellungen vor den Augen der Gottesdienstbesucher verbergen wollte, hat gerade zum Schutz und zur Bewahrung dieses großartigen Bildteppichs über Jahrhunderte ent scheidend beigetragen.
Inzwischen mussten die Fresken 1961/62 und zuletzt sehr gründlich 1996 erneut saniert werden.